Gerichtszweige und Instanzen in Spanien
Die spanische Gerichtsbarkeit ist in vier große Blöcke aufgeteilt, d.h. das es vier verschiedene Zweige gibt, die über einen eigenen Instanzenzug verfügen. Man unterscheidet:
- Zivilgerichtsbarkeit
- Strafgerichtsbarkeit
- Verwaltungsgerichtsbarkeit
- Sozial- oder Arbeitsgerichtsbarkeit
Diese vier Gerichtsbarkeiten sind die ordentlichen oder grundlegenden (jurisdicción ordinaria) Gerichtsbarkeiten und für gewöhnlich jene mit denen der normale Bürger in Kontakt gerät. Richtig aber ist auch, dass es in Spanien zwei weitere und zusätzliche Gerichtsbarkeiten gibt. Allerdings werden diese als besonders angesehen. Es handelt sich dabei um die:
- Militärgerichtsbarkeit
- Verfassungsgerichtsbarkeit
Jeder dieser Zweige ist nur für seinen ganz bestimmten Sachverhalt zuständig. Es gibt also keine Gerichte die für alle Streitigkeiten verantwortlich sind. Der Vorteil liegt natürlich auf der Hand, da die Richter sich in jedem Zweig auf die dortigen Streitfälle spezialisiert haben.
Andererseits hat diese Unterteilung auch ihre Nachteile. In Grenzfällen muss erst die Zuständigkeit der Gerichtsbarkeit festgestellt werden und manchmal können einzelne Regelungen zusammengehörige Sachverhalte auseinander bringen.
Die Gerichtsbarkeiten
Zivilgerichtsbarkeit (Jurisdicción Civil oder Orden Civil): Allgemein regelt das Zivilrecht die Rechtsbeziehungen der Bürger untereinander. Dementsprechend sind die spanischen Zivilgerichte ausgelegt. Diese sind für jegliche Entscheidungen des Zivil- aber auch des Handelsrechts zuständig (z.B. Kaufverträge, Vertragsbrüche, Erbschaften, Streitigkeiten mit dem Mieter oder Vermieter etc.). Auch wird von den Zivilgerichten auf dem Gebiet des Internationalen Privatrechts Recht gesprochen. Ebenso gehört hierher das Familienrecht (z.B. Scheidungen). Zwar existieren in Spanien eigene Handels- und Familiengerichte, aber diese sind aus der Zivilgerichtsbarkeit nicht ausgegliedert.
Die Zivilgerichte sind theoretisch auch Auffangbecken für alle Streitsachen die keinem anderen Zweig zugeordnet sind. Man spricht von einer vis atractiva des Zivilrechts. Dies ist allerdings sehr selten und geschieht nur unter ganz gewissen Umständen.
Die Handelsgerichte befassen sich u.a. mit Insolvenzverfahren, unlauteren Wettbewerb, Urheberrechte, allgemeine Geschäftsbedingungen, Frachtrecht, Seehandelsrecht und Rechtmittel gegen Beschlüsse der Generaldirektion für Register und Notariatswesen.
Strafgerichtsbarkeit (Jurisdicción Penal oder Orden Penal): Die Strafgerichte sind natürlich, wie man dem Namen entnehmen kann, für Straftaten zuständig (z.B. Raub oder Diebstahl). Ebenso gehören in diese Kategorie die Strafvollzugsgerichte (Juzgados de Vigilancia Penitenciaria) und die Jugendgerichte (Juzgados de Menores).
Verwaltungsgerichtsbarkeit (Jurisdicción de lo Contencioso-Administrativo oder Orden Contencioso-Administrativo): Die Verwaltungsgerichte kümmern sich um das öffentliche Recht, d.h. jenes Recht welches das Verhältnis zwischen dem Bürger und dem Staat regelt. Vor die Verwaltungsgerichte gelangen alle Streitigkeiten die man als Bürger mit dem Staat in seiner Funktion als Träger der öffentlichen Gewalt hat (nehmen wir z.B. eine Baugenehmigung oder eine Gewerbeerlaubnis).
Sozial- oder Arbeitsgerichtsbarkeit (Jurisdicción Social oder Orden Social): In diesen Zweig gehören Angelegenheiten des Sozialversicherungs- und Arbeitsrechts (z.B. Pensionsansprüche, Kündigungen usw.).
Militärgerichtsbarkeit (Jurisdicción Militar oder Orden Militar): Diese Gerichte befassen sich ausschließlich mit dem Militärstrafrecht (das spanische Militär hat ein eigenes Militärstrafgesetzbuch).
Verfassungsgerichtsbarkeit (Jurisdicción Constitucional oder Orden Constitucional): Das Verfassungsgericht ist der Hüter der spanischen Verfassung von 1978 und der darin verankerten Grundrechte. Das Verfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit der erlassenen Gesetze und Normen und ist zuständig für Verfassungsbeschwerden.
Aufbau der vier grundlegenden Gerichtszweige
Im Grunde ist der Aufbau der einzelnen Gerichtszweige äußerst einfach. Man darf dabei nur drei grundlegende Ideen nie aus den Augen verlieren.
- In Spanien existiert prinzipiell ein Gerichtssystem mit zwei Instanzen. Dies bedeutet folgendes: Jegliche Streit- oder Strafsache wird in einem ersten Schritt von dem jeweiligen zuständigen Gericht untersucht. Dieses Gericht fällt ein erstes Urteil. Dieses Urteil kann, durch Einlegung der vorgesehenen Rechtsmittel, vor der nächsten und höheren Instanz noch einmal begutachtet werden. Hier fällt dann ein definitives und letztes Urteil. Damit ist das Ende des Rechtsweges erreicht. Der Instanzenzug eröffnet die Möglichkeit Fehler zu begrenzen und evtl. geschehene Irrtümer zu korrigieren. Fernerhin werden Kriterien und Auslegungen vereinheitlicht.
- Je nach Bedeutung der Angelegenheit verschieben sich die erste und zweite Instanz bei den Gerichten. Nehmen wir einmal an, dass im Normalfall Gericht A und Gericht B die jeweilige erste und zweite Instanz sind. Gericht A fällt ein erstes Urteil und Gericht B ist – als übergeordnete Instanz – für die Berufung zuständig. Aber Gericht B muss nicht immer die zweite Instanz sein. In ganz bestimmten und im Gesetz vorhergesehenen Fällen wird Gericht B die erste Instanz sein und Gericht C die zweite. Etwas komplizierter sieht es damit im Strafrecht aus. Der Grund hierfür ist Tatsache, dass die Ermittlungen in Strafsachen von Ermittlungsrichtern und nicht von Staatsanwälten geführt werden. Das spanische System ähnelt somit dem bis 2011 aus der Schweiz bekannten Modell des Untersuchungsrichters oder Verhörrichters. Um nun jegliche Subjektivität des Ermittlungsrichters bei der Urteilsfindung zu vermeiden ermittelt dieser, aber er darf nicht das Urteil sprechen. Dies ist die Aufgabe eines anderen Gerichts und Richter. Dementsprechend ergibt sich folgendes Bild: Wir haben ein Ermittlungsgericht A (oft auch Eingangsgericht genannt). Richter A ermittelt und verweist nach Abschluss der Ermittlungen und im Falle einer Anklage die Causa an Gericht B. Gericht B spricht das Urteil in erster Instanz während das Gericht C die zweite Instanz für das Gerichtsurteil von B ist. Die einzige Ausnahme sind geringfügige Vergehen (delitos leves) in dem Juicio de delitos leves (eine Art vereinfachtes Bußgeldverfahren), in denen das Ermittlungsgericht nach der Ermittlung auch das Urteil fällt.
- Die Gerichtsbarkeiten sind territorial gegliedert. Das Gerichtsverfassungsgesetz (Ley Orgánica del Poder Judicial) bestimmt, von unten nach oben
- Friedensgerichte in der Gemeinde
- Bezirksgerichte
- Provinzgerichte
- Gerichte der Autonomen Gebiete
- Nationale Gerichte
Sehen wir uns den Aufbau einmal genauer an:
Friedensgericht (Juzgado de Paz): An erster Stelle stehen die Friedensgerichte, die mit Laienrichtern besetzt sind. Friedensgerichte existieren in jeder Gemeinde (Municipio) in dem es kein Amtsgericht gibt, d.h. vorzugsweise auf dem Land und in kleinen Dörfern. Die Funktion der Friedensgerichte ist natürlich, wie man sich vorstellen kann, sehr stark limitiert und mit der letzten Novellierung der Ley Orgánica del Poder Judicial noch weiter beschränkt worden. Die Friedensgerichte sind in Ihrer Gemeinde für das Personenstandsregister zuständig.
Amtsgericht: Die Amtsgerichte sind normalerweise die eigentliche erste Instanz und sind in jeder etwas größeren Stadt anzufinden. Ab jedem Gerichtsbezirk (partido judicial) muss mindestens ein Amtsgericht (also Gericht erster Instanz) und ein Ermittlungsgericht vorhanden sein.
Juzgado de Primera Instancia (Amtsgericht): Erste Instanz in Zivilsachen. Berufung gegen Entscheidungen der Friedensgerichte im Zivilrecht.
Juzgado de Instrucción (Ermittlungsgericht): Erste Instanz für geringfügige Vergehen (delitos leves) und Ermittlungsgericht für Straftaten. Berufungsinstanz der Friedensgerichte im Strafrecht.
In kleineren Gerichtsbezirken existiert oft nur ein einziges Amtsgericht mit einem Richter, der beide Gerichtsbarkeiten (Zivilsachen und Ermittlungen) wahrnimmt. Dies sind die Juzgados de Primera Instancia e Instrucción (oder auch mixto).
Auf der Ebene der Provinz kommen folgende Gerichte der ersten Instanz hinzu
- Juzgados de lo Penal (Strafgericht): Urteilsfällung in erster Instanz für Straftaten
- Juzgados de Menores: Jugendgerichte
- Juzgados de Vigilancia penitenciaria: Strafvollzugsgerichte
- Juzgados de lo Social: Arbeits- oder Sozialgerichte
- Juzgados de lo Contencioso-Administrativo: Verwaltungsgerichte
Alle diese Gerichte bestehen aus einzelnen Berufsrichtern.
Provinzgericht (Audiencia Provincial): In jeder Provinzhauptstadt existiert ein Provinz- oder Landgericht. Die Provinzgerichte sind die natürliche zweite Instanz der Amtsgerichte in Straf- und Zivilsachen und erste Instanz im Strafrecht für besonders schwere Straftaten. Landgerichte sind Spruchkörper mit mehreren Berufsrichtern.
1995 wurde durch ein neues Gesetz das Geschworenengericht eingeführt (Tribunal del Jurado). Das Geschworenengericht wird für besondere schwere Straftaten einberufen, z.B. Mord, Totschlag, Waldbrände oder Bestechungen von Beamten. Das Geschworenengericht tritt im Provinzgericht zusammen und besteht aus einem Berufsrichter des Provinzgerichts und neun Geschworenen.
Obergerichte der autonomen Gemeinschaft (Tribunales Superiores de Justicia): Es gibt ein Obergericht in jeder autonomen Gemeinschaft Spaniens. Die autonome Gemeinschaft oder Region (Comunidad Autónoma oder auch abgekürzt CC.AA.) ähnelt den deutschen Bundesländern. Die Obergerichte befassen sich mit spezifischen Streitgegenständen, die ihren Ursprung in den autonomen Gebieten und deren Rechtsnormen haben, oder auch mit Klagen gegen die Landesverwaltung. Es sind vier Senate vorhanden deren Zuständigkeiten sich auf das Zivilrecht, Strafrecht, Verwaltungsrecht und Arbeitsrecht ausdehnen.
Einige Tribunales Superiores de Justicia sind fernerhin auch Revisions- und Kassationsinstanz in Streitfällen des Foralrechts. Das Foralrecht (Derecho Foral) ist eine Besonderheit einiger Regionen. Es handelt sich dabei um ein eigenes historisches Zivilrecht anwendbar nur in der eigenen Comunidad Autónoma. Aragonien oder Katalonien verfügen z. B. über ein eigenes Zivilrecht.
Mit der neuen Zivilprozessordnung (Ley de Enjuiciamiento Civil oder abgekürzt L.E.C.) wurden den Obergerichten auch neue Kompetenzen zugeteilt um auf diesem Weg den Obersten Gerichtshof in Madrid zu entlasten (Tribunal Supremo).
Einige Tribunales Superiores de Justicia sind fernerhin auch Revisions- und Kassationsinstanz in Streitfällen des Foralrechts. Das Foralrecht (Derecho Foral) ist eine Besonderheit einiger Regionen. Es handelt sich dabei um ein eigenes historisches Zivilrecht anwendbar nur in der eigenen Comunidad Autónoma. Aragonien oder Katalonien verfügen z. B. über ein eigenes Zivilrecht.
Mit der neuen Zivilprozessordnung (Ley de Enjuiciamiento Civil oder abgekürzt L.E.C.) wurden den Obergerichten auch neue Kompetenzen zugeteilt um auf diesem Weg den Obersten Gerichtshof in Madrid zu entlasten (Tribunal Supremo).
Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof): Der spanische Oberste Gerichtshof ist das Gegenstück zum deutschen Bundesgerichtshof (BGH). Grundsätzlich ist der Oberste Gerichtshof ein Kassations- und Revisionsgericht. Es handelt sich also um keine dritte Instanz wie – irrtümlich – oft gemeint wird. Eine Kassation oder Revision ist sachlich begrenzt und nur unter bestimmten Voraussetzungen erdenklich, z. B. Urteile die auf einer Gesetzesverletzung beruhen. Der Oberste Gerichtshof besteht aus fünf Senaten (Zivilrecht, Strafrecht, Verwaltungsrecht, Sozial- und Arbeitsrecht und Militärrecht) mit Sitz in Madrid.
Zum besseren Verständnis der spanischen Gerichtsbarkeit können Sie folgende grafische Darstellung öffnen: